Schon Anfang Januar 2024 brachten die Herren Merz und Linnemann die Gruppe der Arbeitslosen in den Fokus der Politik. Sie erzählten die ewige Mär, dass die meisten Arbeitlosen den Sozialstaat ausnutzen. Eine Geschichte, die alle Jahre wieder auf die Tagesordnung kommt.
Im Wahlkampf wurde dann viel darüber diskutiert, dass das Bürgergeld vielleicht zu hoch ist und sich Arbeit deshalb nicht lohnt, das alle Arbeitslosen zu Pflichtdiensten gezwungen werden müssen, dass Leistung belohnt werden muss, die Arbeitsagentur abgeschafft gehört …
Eine riesige Ansammlung von Vorschlägen, die unterstellen, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollen.
Schauen wir auf das Thema Bürgergeld. Es ist festzustellen, dass ein Großteil der Bürgergeldempfänger*innen arbeiten geht, der Lohn jedoch für das Leben nicht ausreicht. Wo bleibt die Diskussion um auskömmliche Gehälter?
Schauen wir auf „die Arbeitslosen“ stellen wir fest, dass ein Großteil gar nicht in der Lage ist, arbeiten zu gehen. Krankheiten oder andere Einschränkungen stehen einer Erwerbstätigkeit im Weg. Wo bleibt die Diskussion zum Thema, dass Armut und Arbeitslosigkeit krank machen und sozial schädlich sind?
Oder die Abschaffung der Agentur für Arbeit als Demontage des Sozialstaats: Wo wird die Resilienz des Sozialstaats gegen die Entfesselung des Kapitalismus diskutiert?
Bei all diesen auf einem negativen Menschenbild fußenden Themensetzungen von Parteien oder einzelnen Politikern, bei all diesen Neid und Hass schürenden Debatten: Wo wird deutlich, dass eine Gesellschaft besser funktioniert, wenn die Menschen in ihr sich solidarisch miteinander zeigen? Wo wird deutlich, dass der Sozialstaat sicherlich viel Geld kostet, aber die Gesellschaft als Ganzes von ihm profitiert?
Sozialleistungen sind immer noch Errungenschaften, die den Menschen dienen. Gerade in Zeiten, die politisch und wirtschaftlich unsicher erscheinen, gibt der Sozialstaat Halt und ermöglicht sozialen Frieden.
Politik, die nicht dazu bereit ist, Solidarität in der Bevölkerung zu stärken und schwache Teile der Gesellschaft zu schützen und zu unterstützen, hat noch nie in der Geschichte der Menschheit dazu geführt, dass eine Gesellschaft in Gänze gut funktioniert und alle ein gutes Leben haben. Politik, die ganze Bevölkerungsschichten ausgrenzt und diffamiert, zerstört den Gedanken an das gute Leben für alle.
Die Bundestagswahl hat nun gezeigt, dass Parteien, die im Wahlkampf Ressentiments gegen Arbeitslose schürten, die stärksten Wahlergebnisse verzeichnen konnten. Was dies für das Regierungshandeln in den nächsten vier Jahren bedeutet, ist am Tag nach der Wahl noch nicht absehbar. Wir können nur hoffen, dass außerhalb des Wahlkampfs fundierte fachliche Expertise in der Sozialpolitik in der politischen Diskussion Gehör finden wird. Und wir hoffen noch mehr, dass Regierungshandeln die Empathie in der Bevölkerung stärken wird und solidarisches Miteinander aufblühen kann. Und wir können in unseren Begegnungen mit anderen immer wieder dafür werben, dass diese Werte von großen Teilen der Bevölkerung geteilt werden.
Erstveröffentlichung: VolksvereinsZeitung Nr. 92 | Ostern 2025 |