Prekariat – Abschiebeknast für Verlierer

Arm, alt, arbeitslos? Ab ins soziale Kittchen

 
Bild: Titelseite Bündnisbrief April 2018Wenn in einem der reichsten Länder der Erde Millionen Menschen unter prekären Arbeits und Lebensverhältnissen leiden, ist das ein Skandal, oder? Ja, und doch verschleiert diese moralisierende Formulierung das eigentliche Problem: Sie sind vor allem Opfer neoliberaler gesellschaftlicher Zustände, die der Kumpanei ökonomischer und politischer Eliten geschuldet sind.
 
„Wärst Du nicht reich, wär ich nicht arm“, dichtete Bert Brecht, so einfach und eindringlich ist die Wirklichkeit. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Arm sein heißt, zu den gesellschaftlichenVerlierern zu gehören, bedeutet materielle, kulturelle, soziale Verelendung, Ausschluss von Bildung und Wissen. Armut ist Ausgrenzung in einen imaginären Knast, aus dem es kein Entrinnen gibt, dessen Erbarmungslosigkeit immer mehr Menschen, die noch ganz zufrieden sind, Angst macht. Seine Mauern, die unüberwindlich sind, heißen Kinder- und Altersarmut, mangelnde Krankenversorgung sprich: akute und chronische Gesundheitsgefährdung und vergleichsweise geringe Lebenserwartung, Wohnungsnot, entwurzelte und obdachlose Opfer der Maklermafia und von legalisiertem Mietwucher.
 
In diese Verwahranstalt für den sozialen Abfall werden ihre Insassen mit unerbittlichen Ausschlussmechanismen befördert: Langzeitarbeitslosigkeit, politisch gewollter Rentenbetrug, ungesicherte und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse wie Zeitarbeit, Werksverträge und Praktikumsverschleiß, Frühinvalidität aufgrund krankmachender Arbeitsbedingungen, alleinerziehendes Muttersein als ökonomische und berufliche Perspektivlosigkeit usw.
Diese Ausgrenzungs-Maschinerie führt zur systematischen Verbannung vieler Menschen aus der gesellschaftliche Mitte in soziale Ghettos am Rand, gejagt von so obszönen wie verächtlichen Absichten: Ihr prekäres, elendes Dasein soll vor denen, die den eigenen Wohlstand ungestört genießen wollen, verborgen werden. Und sie sollen so nachhaltig gedemütigt, entmutigt und verängstigt werden, dass sie nicht doch irgendwann ausbrechen und sich holen, was ihnen eigentlich zusteht.
Wie sieht die Kehrseite dieser erbärmlichen Wirklichkeit aus? Die Dreistigkeit, mit der sich das Anhäufen von Vermögen im Überfluss in den begüterten und begünstigten gesellschaftlichen Kreisen zum Trendsport entwickelt hat, kennt keine Grenzen von Moral und Anstand, geschweige denn von sozialer Verantwortung. Der gesellschaftlich produzierte Reichtum wird immer schamloser und selbstverständlicher privatisiert – nicht nur von den schon sprichwörtlich gierigen Vorständen der Deutschen Bank und anderer Konzerne, sondern – jede Einschränkung wäre verharmlosend – von nahezu allen, die irgendwie und irgendwo entsprechende Möglichkeiten haben: Manager aller Branchen, Vorstände von Krankenversicherungen – auf Kosten der Versicherten – und anderen öffentlichen und sozialen
Institutionen, leitende Angestellte von Ämtern und Behörden. Viele PolitikerInnen scheffeln so viel an Honoraren und Vergünstigungen durch korrupte Nähe zum Lobbyistenheer, wie nur möglich. Ein großer Teil der Ärzteschaft hat seinen Hippokratischen Eid längst dem Gott Mammon geopfert. Und wie sieht es z.B. in Mönchengladbach und seinem Umfeld aus? Das soziale Desaster dieser Stadt lässt sich mit Worten kaum noch beschreiben. Und es erhält immer neue,
die Ausgegrenzten verhöhnende Pointen: Konsumtempel wie das Minto, gefeierte Wohnbauprojekte wie Roermonder Höfe und City-Ost und demnächst Maria-Hilf-Quartier und andere, über die Stadt verteilt – Lebensraum auch für Arme, Arbeitslose, in prekären Verhältnissen lebende Menschen? Haben die PlanerInnen wenigstens den einen oder anderen Gedanken an sie verschwendet? Nein, in Mönchengladbach nehmen Politik und Verwaltung das Thema Gentrifizierung wirklich ernst: Raus aus den Zentren des Wohlstands mit dem sozialen Ausschuss, die gefüllte Geldbörse ist der Zugangscode für die belobhudelte „wachsende Stadt“. Weil die existenzielle Not, der Hunger, das sichtbare Elend den Begüterten nicht zuzumuten sind, muss auch das Arbeitslosenzentrum irgendwo an den Rand geschoben
werden. Und wie stolz sind die Stadtbetreiber auf die überproportionale Geburtenrate! – Welch ein monströser Stolz ist das, wenn man bedenkt, dass ein Drittel der Neugeborenen schon das Zeichen der existenziellen
Hoffnungslosigkeit auf der Stirn trägt! Dieser Bündnisbrief soll dazu beitragen, die Gitterstäbe des prekären Knasts zu durchtrennen oder gleich das ganze ausgrenzende und entwürdigende System aus den Angeln zu heben. Er soll ermutigen aufzubegehren, aufzustehen, aufzubrechen – in eine gerechte Welt. Dr. Günter Rexilius
 

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